Sven Taubert
Die "Riesendecke" von Görlitz - Wiederentdeckung und Restaurierung der bemalten Holzdecke in der ehemaligen Rüstkammer im Rathaus (Veröffentlicht in: Denkmalpflege in Görlitz - 13
Hrsg.: Stadtverwaltung Görlitz, Der Oberbürgermeister, Untere Denkmalschutzbehörde, 2004. S.48 - 56)
|
Abb. 1: Rathaus-Südflügel Blick von Ost in die Brüderstraße auf die Rathaustür |
Der Südflügel des alten Rathauses von Görlitz - heute Brüderstrasse 7 und nach langjähriger Funktion als solcher auch "Gerichtsflügel" genannt - ist das vorläufige Resultat Jahrhunderte währender Veränderungen und Überformungen. Im Ensemble mit Turm, Rathaustreppe mit Verkündigungskanzel und dem gegenüberliegenden Schönhof prägt er maßgeblich eine spannungsvoll verdichtete architektonische Situation, die einen wichtigen städtebaulichen Gelenkpunkt zwischen Ober- und Untermarkt der Altstadt bildet (Abb. 1).
Kaum ein Jahr vergeht, in dem nicht bemalte Decken und Wandmalereien in den Görlitzer Altstadthäusern entdeckt werden. Der Saal im 2. Obergeschoss des südlichen Rathausflügels mit seiner insgesamt 215 Quadratmeter überspannenden Holzbalkendecke darf allerdings schon wegen seiner enormen Flächenausdehnung als herausragender und bislang einzigartiger Befund gelten (Abb. 2).
|
Abb. 2: Blick auf die Saaldecke nach West |
Die "Riesendecke" von Görlitz entdeckte man im Zuge der Sanierungsmaßnahmen an der Dachkonstruktion des Gerichtsflügels 1999 - 2000. Erste bauhistorisch-restauratorische Bewertungen wurden 1999 von Frank-Ernest Nitzsche vorgenommen, der mit seinen Mitarbeitern die Decke verformungs- gerecht aufgemessen hat und den historischen Bestand sowie die Schäden und Verluste kartierte. Die denkmalpflegerische Zielstellung von 1999 bündelt die Ergebnisse dieser Untersuchungen und gibt einen Ausblick auf notwendige konservatorische Arbeiten sowie die möglichen Varianten des zukünftigen Umgangs mit der Decke und den dazugehörigen Wandbemalungen.
Die bemalte Holzbalkendecke im 2.Obergeschoss des Südflügels des Görlitzer Rathauses überspannt einen spätmittelalterlichen ca. 23 Meter langen und 9,50 Meter breiten Saal. Der konkrete Erbauungszeitpunkt war auch durch die baubegleitend durchgeführten Archivrecherchen nicht verbindlich zu beweisen. Eine archivalische Erwähnung beschreibt eine Baumaßnahme im Jahr 1592: "Im Sept: sind neue balcken geleget worden aufn Saal aufs Rathhaus so wohl auch eine neue decke darauf." 1 . Das Jahr 1592 hat eine gewisse zeitliche Nähe zum Ergebnis der dendrochronologischen Untersuchung zweier Proben aus dem Sparrengebälk des über der Decke liegenden Dachstuhls. Dabei wurde für die beiden betreffenden Bauhölzer das Fälljahr 1581 ermittelt. Diese Datierung wird von nun ab auch als vorläufig gültiges Errichtungsjahr für das 2. Obergeschoss des Gerichtsflügels geführt. Eine archivalische Beschreibung der anfänglichen Nutzung dieses riesigen, farbig-dekorativ ausgemalten Raumes ist bislang nicht bekannt geworden. Erst spätere Archiveintragungen bezeichnen den Saal über der Gerichtsetage als "Rüstkammer".
Die saalartige Raumstruktur des 16. Jahrhunderts war bis zur Sanierung 1999 weitgehend durch Trennwände und jüngere Deckeneinbauten aufgelöst, so daß eine kleinteilige Raumstruktur mit zuletzt als Büros genutzten Einzelräumen dominierte. Diese wurden über einen hofseitigen Flur erschlossen. 2000 erfolgte der komplette Ausbau der beschriebenen Trennwände (von 1872) und der Putzdecke, die seit 1817-18 2 die farbige Bemalung der renaissancezeitlichen Holzbalken und Bretter abdeckte. Den Restaurierungsarbeiten ging deshalb eine intensive Untersuchung der Decke sowie der Wandmalereien hinsichtlich der Konstruktion, der Maltechnik und der Schäden voraus. Auf die daraus gewonnenen Erkenntnisse konnte eine detaillierte Konzeption aufgebaut werden, die präzise beschrieb, welche konservatorischen Schritte unbedingt notwendig sind, wie weit restauratorische Eingriffe und Ergänzungen vorgenommen werden sollten und in welchem Zeitraum die Maßnahme realisiert werden konnte. Wie anderswo auch, ist in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem Finanzbedarf und Finanzierungsquellen für eine Restaurierungskampagne zu beantworten gewesen.
Die Konstruktion der Decke
Die Deckenkonstruktion besteht aus quer zur Saalachse liegenden Balken, auf die bis zu 40 cm breite Deckbretter als Belag genagelt sind, so daß die Balken zum Raum hin vollplastisch zur Wirkung kommen. Ob es ursprünglich dachbodenseitig auf der Oberfläche des Brettbelages einen weiteren konstruktiven Aufbau, wie z.B. Schüttung, Lehmschlag und dergleichen gegeben hat, ist unklar geblieben, denn es fehlten diese Materialien zum Zeitpunkt der restauratorischen Untersuchungen 1999. Für den Deckenbau fand ausschließlich Nadelholz Verwendung. Die Bretter des Belages haben an den Kanten einfach angehobelte Falze, die sich beim Aneinanderlegen der Bretter gegenseitig überschieben, sodass ein relativ dichter Fugenverschluß gewährleistet ist. Die Brettlängen betragen in den meisten Fällen etwa 3 Meter, so dass 4 Balken überspannt werden. Die raumzugewandte Sichtseite der bemalten Deckenbretter hat eine sägeraue Oberfläche. Die Balken wurden bebeilt, die Kanten durch eine angearbeitete Fase grob verbrochen.
Kunsttechnologische Beobachtungen zur farbigen Bemalung
|
Abb. 3: Dekoratives Gestaltungsprinzip sind die Kassetten mit aufgemalten Diamantquadern und arabesker Ornamentierung |
Zur auffällig rauen Oberfläche der Decke gehört eine bemerkenswert lockere Malweise, mit der die Maler die Ornamentik auf die Deckenoberfläche zeichneten. Bewusst wird die Pluralform für "Maler" verwendet, da mit großer Sicherheit davon auszugehen ist, dass mehrere Personen an der Ausgestaltung des Saales mitwirkten. Unterschiedliche Handschriften sind bei näherer Betrachtung jedenfalls gut zu unterscheiden.
Die Ornamentierung besteht in einer Gliederung der riesigen Fläche durch zahlreiche nahezu quadratische Kassetten, die als Diamantquader bezeichnet werden können (Abb. 3). Die Flächen sind mit sogenannten Arabesken gefüllt - verästelte florale Motive - jeweils Schwarz auf weiß grundierten Dreiecken und - im Wechsel dazu - Weiß auf grauen Dreieckflächen. Kräftig orangefarbene Blüten akzentuieren jeweils den Mittelpunkt einer jeden Rosette.
|
Abb. 4: Maskenhaftes Gesicht - einzige figurale Darstellung an der ganzen Decke |
Auch auf den Balken sind fast ausschließlich florale Ranken und Blütenmotive zu finden - bis auf eine Ausnahme: das ins maskenhafte verzerrte Gesicht, das man nur bei genauer Betrachtung der Malerei in einer eingearbeiteten Vertiefung auf einer Balkenflanke finden kann 3 (Abb. 4).
Materialproben zum Farbsystem der Bemalung wurden durch ein Labor für naturwissenschaftliche Kunstgutuntersuchungen 4 analysiert. Demnach gestaltet sich der Malschichtaufbau wie folgt:
Balken: |
0 |
Malschichtträger: Nadelholz |
1 |
schwarz-graue Grundierung, sehr dünn, lasierend |
2 |
polychrome Ornamentik in Oxidrot, Hellrot, Gelb, Schwarz, Grau, Weiß |
Deckenbretter: |
0 |
Malschichtträger: Nadelholz |
1 |
dünnschichtige weiße Grundierung (Kreide und Glutinleim) |
2 |
polychrome Ornamentik in Oxidrot, Hellrot, Gelb, Schwarz, Grau, Weiß |
verwendete Pigmente für: |
Schwarz |
Beinschwarz (Knochenschwarz, C) |
Weiß |
Kreide (CaCO3) |
Gelb |
Auripigment (Arsensulfid, As2S3) |
Orange |
Mennige (Pb3O4) |
Rot |
Eisenoxidrot (Fe2O3) |
Grau |
Mischung aus Kreide und Beinschwarz (CaCO3 + C) |
|
Abb. 5: Mikroskopische Aufnahme des gelben Auripigmentes bei 30-facher Vergrößerung |
Bindemittel: |
Der weiße Grund auf den Holzteilen der Decke besteht aus einer leimgebundenen Kreidegrundierung. Die Malerei ist kaseingebunden 5 . |
Der vorgefundene Zustand der Holzbalkendecke
|
Abb. 6: Arbeitsstand: angeschuhte Deckenbalken, zur Rekonstruktion grundierte Ersatzbretter mit Kohle-Vorzeichnung |
Zum Zeitpunkt der Erstellung des ersten Restaurierungskonzeptes im Jahr 2000 waren bereits die notwendigen statischen Sicherungen vorgenommen. So gab es eine große Zahl von Balkenkopf-Anschuhungen und Neuholz-Ergänzungen am Brettbelag (Abb. 6).
Die Bemalung wies heterogene Schadenszustände auf: Grundsätzlich war die Bindekraft der Farb-Bindemittel durch Alterung und äußere schädigende Einflüsse (z.B. Wasserschäden durch Dachundichtheit) dramatisch reduziert. Die Verschalung der bemalten Decke und der anschließende Verputz mit Kalkmörtel 1818 führten dazu, daß nach der Entfernung der Putzdecke markante, optisch stark störende weiße Streifen auf der Malschicht-Oberfläche zu erkennen waren. Diese rührten von Kalkmörtelspritzern her, die durch die Lücken der Schalungsbretter bis auf die Holzdeckenoberfläche gelangt waren. Weiße Kalkschleier und Farbverätzungen waren das Resultat. Die Verschalung hatte weiterhin eine große Anzahl von Nagellöchern auf der Unterseite der Balken zur Folge, welche das optische Erscheinungsbild erheblich beeinträchtigten. Im selben Zusammenhang sind Holzabtragungen an vereinzelten Deckenbalken-Unterseiten festzustellen.
|
Abb. 7: Abgebeilte Deckenbalken-Unterseiten, die bei der Restaurierung substanziell wieder aufgefüttert wurden. |
Sie waren vor der Verschalung der Decke notwendig für den Niveauausgleich der teilweise durch ihr erhebliches Eigengewicht bogenartig durchhängenden Balken. Die betreffenden Balken sind beträchtlich geschädigt, da dieser Vorgang mit enormem Substanzverlust einherging und die resultierenden Oberflächen grobe Beilspuren aufwiesen (Abb. 7). Die gesamte Holzdecke war nach der Offenlegung sehr stark verschmutzt. Es handelte sich, neben Spinnweben, Staub und Schmutz, zu einem nicht unbedeutenden Teil um (Lampen-) Ruß-Ablagerungen. Schließlich haben frühere Wassereinbrüche vom Dachboden her dunkelbraune Wasserflecken hervorgerufen, die sich vornehmlich an den Brettfugen entlang ausgebildeten.
In einem Zwischengeschoss des Palas des Rathauses befanden sich im Zuge der jüngsten Instandsetzung von den Zimmerleuten ausgelagerte bemalte Deckenbretter mit einer Gesamtfläche von etwa 18 m2 in unterschiedlichem Erhaltungszustand: Teilweise mit Wasser-, Schwamm- und Insektenschäden, teilweise mit massiven mechanischen Beschädigungen. Diese Deckenbretter waren zu konservieren und an ihrem ursprünglichen Standort in die Saaldecke wieder einzubauen, was sich in der späteren praktischen Durchführung als klassisches "Ornament-Puzzeln" entpuppte, denn die ehemaligen Standorte waren keineswegs eindeutig zuweisbar!
Reinigung und restauratorisch-holztechnische Arbeiten
Die Befreiung der Deckenoberfläche von Staub, Spinnweben und anderen Verunreinigungen erfolgte durch behutsames Abkehren und Absaugen. Danach wurden die Kalkspritzer, die vom Verputzen der Rohrschilfmatten herrührten, mit Hilfe von Glasfaserradierern entfernt. Die Entfernung von kleinsten Verschmutzungen erfolgte im Zuge der Feinreinigung trocken mit speziell dafür entwickelten Latex-Schwämmen.
Vier Balkenunterseiten wiesen massive Verletzungen der Holzoberfläche durch Abbeilen
auf - eine Maßnahme, die vor der Deckenverschalung und dem anschließenden Verputz 1818 durchgeführt worden war, um die betreffenden vier durchhängenden Deckenbalken zu "begradigen".
|
Abb. 8: Angestückte Deckenbretter, die durch Insektenfraß stark beschädigt waren |
Die dadurch entstandenen Fehlflächen wurden nun mit einer speziell dafür rezeptierten Kittmasse aufgebaut, deren Hauptbestandteil Cellulosefasern sind - einem wesentlichen Baustein der Holzanatomie und dem Werkstoff Holz demnach sehr verwandt. Einige der Deckbretter waren durch Fäulnis und Insektenfraß nicht mehr vollständig in ihrer ursprünglichen Dimension erhalten. Diese wurden durch neues und teilweise auch altes Fichtenholz in der Stärke der Originalbretter von 3 - 4 cm bis auf ihre ursprüngliche Länge ergänzt und konnten so wieder an ihrem alten Einbauort gebracht werden (Abb. 8).
Malschicht-Festigung und Retusche
Die durch Bindemittelabbau gefährdeten Bereiche - hauptsächlich die roten Schmuckbänder an den Balken - wurden mit einer Hautleimlösung gefestigt. Für die Retuschen der Fehlstellen in der Deckenbemalung kamen Pigmentfarben zum Einsatz, die - in Cellulosewasser vermalt - die in der Restaurierung geforderte Reversibilität gewährleisten. Alle Fehlstellen in der Bemalung sowie die neu hinzugekommenen Kleinstflächen der Kittungen wurden mit einer Strichretusche 6 geschlossen und auf diese Weise wieder in die farbliche Umgebung eingepaßt.
Rekonstruktion
Bereits in der Restaurierungskonzepion war die Frage nach dem Grad der Ergänzung fehlender Malereiflächen zu beantworten. Vorweg kann gesagt werden, dass keine der beiden zunächst diskutierten Extremvarianten zur Ausführung kam, die da waren:
- Komplette Wiederherstellung der Malereiverluste in Farbe und Form des noch vorhandenen Renaissancedekors als sogenannte "Total-Ergänzung";
- Einfügung neutral getönter Flächen dort, wo Malerei verlustig gegangen ist - sogenannte "Neutral-Ergänzung";
Bauherr, Denkmalpflege und Restauratoren einigten sich auf eine Lösung, die die farbliche Wiederherstellung vor allem der Kassettenstrukturen mit den aufgemalten Diamantquadern vorsieht, da diese für das optische Gesamtbild wichtig sind. Auf die Wiederholung der dekorativen Rosetten, Ranken und dergleichen wurde aber verzichtet.
|
Abb. 9: Ergänzte Fehlbretter wurden farblich nur "formal" rekonstruiert; auf das Ornament wurde verzichtet |
Zu individuell und "persönlich" ist die Handschrift dieser renaissancezeitlichen Schmuckelemente, als dass wir ein Fortschreiben derselben heute wagen sollten (Abb. 9). Für die Rekonstruktion fehlender oder verschwammter Deckbretter wurden weitgehend neue Fichtenholzbretter verwendet. Da diese jedoch, im Gegensatz zu den originalen Brettern, eine gehobelte Oberfläche aufweisen, musste durch einen angepassten Farbauftrag der Eindruck einer sägeraue Oberflächenstruktur geschaffen werden. Dabei halfen verschiedene Grautöne - in Kasein-Tempera-Bindemittel angemischt. Um die Wirkung einer sägerauen Oberfläche nachzuempfinden, musste lasierend in mehreren Lagen von Dunkel nach Hell gearbeitet werden - ein Vorgang, der einige Proben brauchte, bis die gewünschte Farbwirkung erzielt war. Bei der farblichen Anpassung der Balkenköpfe wurde ähnlich vorgegangen. Es sind mehrere Grautöne gemischt worden, da nur auf diese Weise die unterschiedlichen Patinierungsgrade nachempfunden werden konnten. Auf eine graue Grundierung malte man die verschiedenen dunkleren Grautöne granierend auf und glich sie somit farblich der Umgebung an. Die roten Bänder und der schwarze Begleitstrich an den Balkenkanten fanden auf ähnliche Weise ihre Komplettierung. An den Flanken und Unterseiten der neu angeschuhten Balkenstücke wurde auf eine Rekonstruktion der Ornamentik verzichtet. Die Verletzungen der Holzsubstanz und die Verluste in der Malerei bleiben so dem Betrachter als wichtige Beobachtung erhalten.
Die ornamental bemalten Wandputzfelder zwischen den Balkenlagen
Die zur Deckenbemalung gehörigen renaissancezeitlichen Putz- und Fassungsreste liegen unmittelbar unterhalb der Holzbalkendecke zwischen den Balkenköpfen je an der Nord- und Südwand. Die Farbgestaltung mit den gerahmten Rankenmalerei-Kassetten ist Bestandteil des Dekorationssystems der Holzbalkendecke und schließt diese als umlaufendes friesartiges Band zum hellen Wandfond ab. Die Breite des restaurierten umlaufenden Wandputzstreifens mit Bemalung direkt unterhalb der Holzdecke beträgt etwa 80 cm.
Bei der zimmermannstechnischen Sanierung der Holzbalkendecke 1999 bis 2000 wurden, vor allem an den Balkenköpfen, umfangreiche Anstückungen vorgenommen, die zum Teil auch die Aufgabe von Renaissanceputzteilen forderten. Allerdings sind bereits bei der Deckenverschalung 1818 7 großflächige Putzverluste zu verzeichnen gewesen. Hier wurde schon mit einem nicht geglätteten Reparaturmörtel ergänzt.
Wand- und Putzaufbau
Bei den Wänden handelt es sich um Granitbruchstein-Mauerwerk mit spätgotischen Backsteinmauerwerk-Einfügungen in den Fensterlaibungsflächen. An den Wänden finden sich unter den Putzschichten der jüngeren Bauphasen ab 1818 zum Teil umfangreiche zusammenhängende Reste spätmittelalterlicher Putze und Fassungen, die von F.E. Nitzsche 1999 bis 2003 baubegleitend erfasst worden sind. Auf dem spätgotischen Mauerwerk liegt ein grau getünchter Putzberapp von ca. 1 cm Stärke. Darauf folgt - nur im oberen Drittel der Wandfläche (!) - der 2003 restaurierte Renaissanceputz mit der erwähnten gemalten Kassettengliederungen der wiederherzustellenden Raumgestaltung. Dieser Renaissance-Kalkputz ist in weitgehend einlagig aufgebracht und zwischen 3 und 5 cm stark. Die Korngröße der Zuschlagstoffe variiert und erreicht bis zu maximal 8 mm Durchmesser. Die Oberfläche ist mit der Kelle förmlich glatt "gebügelt", die Fläche im Streiflicht charakteristisch wandfolgend bewegt.
|
Abb. 10: Wandmalerei-Fragment vor der restauratorischen Bearbeitung |
Zur Vorbereitung der Malerei war der Putz mit einer weißen Kalkschicht grundiert. Die Pinselstruktur ist aus der Nähe gut erkennbar. Bei der dekorativen Bemalung handelt es sich um einen ca. 5 - 7 cm breiten grauen Rahmen mit schwarzen, etwa 8 mm breiten Ritzern als Konturierung. Die so entstandene Kassette wird diagonal in eine rote (links oben) und eine weiße (rechts unten) Dreieck-Fläche geteilt (Abb. 10). Im weißen Bereich ist die eingezeichnete Arabeskenmalerei schwarz, im roten Bereich ist sie weiß. Mittig wurde eine stilisierte Blüte in orangeroter und schwarzer Farbe aufgesetzt.
Zustand der Wandmalereien
Durch die diversen Umbauten und Sanierungen sind von den ehemals 44 bemalten Kassettenfeldern noch 20 in zum Teil recht unterschiedlichem Zustand vorhanden. Als Folge der Balkenkopfsanierung fehlen vor allem an den Randbereichen zu den Deckenbrettern und den Holzbalken Putzsubstanz und Farbfassungen. Auch im Mauerwerk sind zahlreiche Ausflickungen vorgenommen worden, die zu einem stark heterogenen Erscheinungsbild beitragen. Neben vollständig neu aufgebauten Mauerkronen finden sich Bereiche mit dem offenliegenden spätgotischen Mauerwerk, aber auch Bereiche mit vollständig erhaltenen Renaissanceputzflächen, auf denen sogar die Malerei komplett erhalten geblieben ist. Teilbereiche aller beschrieben Putze lagen hohl bzw. hatten sich vom Mauerwerk gelöst. Das Putzgefüge hatte sich gelockert, die Oberflächen, vor allem an den Randbereichen, sandeten ab. Auch in noch zusammenhängenden Putzflächen gab es kleinere mechanische Beschädigungen, wie Ausbrüche und Kratzer. Alle Farbtöne, vor allem die schwarze Rankenmalerei, puderten ab.
Restaurierung der Wandmalereiflächen zwischen den Balken
In der ersten Phase der Wandputz- Restaurierung wurden alle nicht bemalten jüngeren Reparaturputze entfernt. Putzspritzer und Überputzungen wurden mit Meißel und Skalpell abgetragen. Im Anschluss erfolgte eine erste Sicherung. An den bemalten Putzschollen geschah dies in Form einer Kantensicherung mit Reinkalkmörtel, um ein Abfallen zu verhindern. Einige wenige Putzbereiche mussten mit Füllmörtel hinterspritzt und wieder an den Untergrund angebunden werden. Die Farbfassung erwies sich hier weitgehend als stabil, so daß eine Festigung nicht erforderlich war. Auch konnten die starken Verschmutzungen (Ruß, Staub etc.) mit den bereits oben beschriebenen Spezial-Schwämmen verschiedener Härtegrade entfernt werden.
Putzarbeiten im Zusammenhang der Restaurierung
Die Ergänzungen des Renaissanceputzes bis ca. 80 cm unterhalb der Balken wurden von einer Stuckateurfirma ausgeführt 8 . Dabei verwendete man einen speziell dafür bereiteten Reinkalkmörtel. Der Putzaufbau erfolgte in 2 Schritten, da eine Putzschichtstärke bis zu 8 cm wieder aufgebaut werden musste. Die eingestellte Körnung der Zuschlagstoffe entsprach dem Resultat einer Labor-Analyse des historischen Verputzmaterials. Die Deckputzschicht wurde mit einer Metallkelle gebügelt, bis eine dem Original entsprechende Oberflächenstruktur erreicht war. Das Ergebnis konnte im scharfen Streiflicht bereits während der Arbeit gut beurteilt werden.
Farbretusche und Rekonstruktion
|
Abb. 11: Wandmalereifragment nach der Konservierung in neu aufgebrachten Kalkputzmörtel eingebettet und farblich integriert; auch hier: Verzicht auf ornamentale Vervollständigung |
Wie im Deckenbereich wurde auch an den bemalten Putzfeldern auf eine vollständige Rekonstruktion der ornamentalen Malerei verzichtet. Nach der Grundierung der Putzfelder mit Kalkmilch erfolgte die zeichnerische Rekonstruktion der Ornamentfelder mit Holzkohle. Die Fondflächen wurden, dem Original entsprechend, mit Grau, Weiß und Rot ausgelegt.
Verwendung fanden hierbei in Kalkkasein gebundene Pigmente. Anschließend konnten die schwarzen Rahmen nachgezogen werden. Um ein möglichst harmonisches Erscheinungsbild der neuen Fassungen im Zusammenspiel mit den gealterten Oberflächen der originalen Malerei zu erreichen, mussten Teilbereiche der Rekonstruktion mit getöntem Pigmentwasser (aqua sporca) angeglichen werden. Fehlstellen innerhalb der bemalten Putzfelder sind nur zurückhaltend geschlossen, so daß bei näherer Betrachtung diese Bereiche sichtbar blieben, im allgemeinen Raumbild allerdings nicht stören (Abb. 11).
Der große Saal im zweiten Obergeschoss des südlichen Rathausflügels hat eine neue Funktion bekommen. Als Rüstkammer hat er seit Jahrhunderten die notwendigen Kriegsmittel zur Bewachung und Verteidigung der Stadt Görlitz beherbergt. Als (Rats-) Bibliothek sah man ab 1818 Hunderte Bücher und Akten in ihm lagern. Seit dem Frühjahr 2004 sind nun Mitarbeiter des Standesamtes unter der Görlitzer "Riesendecke" eingezogen. Die Öffentlichkeit hat so erfreulicherweise Zugang und kann eine neu gewonnene alte Pretiose Görlitzer Raumkunst fortan bewundern. Ein großer Teil der konservatorisch notwendigen und restauratorisch sinnvollen Maßnahmen konnte praktisch in vorbildlicher Weise umgesetzt werden. Zu verdanken ist dies dem äußerst engagierten Wirken aller an diesem umfangreichen und fachlich herausfordernden Projekt Beteiligten. Gedankt sei dafür an dieser Stelle insbesondere:
- der städtischen Bauherrschaft, vertreten vom Bauamt durch Frau Poost,
- den Planern und dem restauratorischen Fachplaner:
- AIG, Architekten und Ingenieure Görlitz, vertreten durch Herrn Schäfer
- BfB, Büro für Bauforschung Görlitz, vertreten durch Herrn Nitzsche
- dem Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, vertreten durch Herrn Frenschkowski
- der Altstadtstiftung Görlitz
- der Deutschen Bundesstiftung Denkmalschutz, vertreten durch Herrn Dr. Schaabe
- dem Regierungspräsidium Dresden, vertreten durch Frau Dr. Windelband und Frau Stanke
- allen eingebundenen Mitarbeitern der mit der Ausführung der Restaurierungsmaßnahmen betrauten Restauratoren-Sozietät Eric Stenzel & Sven Taubert, Dresden
Autor:
Dipl.Restaurator Sven Taubert
Fotos: Dipl.Restaurator Sven Taubert
Stenzel Taubert & Partner
Büro für Bauforschung und Denkmalpflege
Werkstätten für Restaurierung
Franz-Lehmannstr.18 - 01139 Dresden
1 |
Quelle: Christian Schaffer: Continuatio Pars Quarta. Annalium Gorlicensium de Anno 1500 ad Annum 1549 |
2 |
Quelle: Friedrich Wilhelm Weinhold: Bauchronik der Stadt Görlitz 1865. Bd. |
3 |
5. Balkenlage von West, nach West zeigende Seitenfläche des Balkens, nahezu Mitte der Balkenlänge |
4 |
Prof. Dr. sc. nat. H.-P. Schramm, Dresden |
5 |
Milchsäure-Kasein - wichtiger Bestandteil von Milch und Quark - wird durch Hinzugabe eines stark alkalischen Mediums aufgeschlossen und zu Kasein-Leim (kleisterartige Konsistenz) verarbeitet; in der malerischen Praxis erfolgt der Aufschluß mittels Kalk, Borax oder Ammoniumhydroxid; nach Vermengung mit Farbpigmenten und Wasser gibt die so entstandene Mischung ein gut vermalbares und haltbares Farbmittel ab. |
6 |
Strichretusche: Form der Farbergänzung, bei der der Malduktus durch eine Strichstruktur charakterisiert ist; mehrere verschiedene Farbtöne werden dabei als kurze Strichlagen nebeneinander gesetzt und ergänzen sich so optisch zu einer resultierenden Farberscheinung, die sich meist recht optimal den gebrochenen und patinierten Oberflächen der zu ergänzenden gealterten historischen Umgebungsfarben anpasst. |
7 |
Quelle: Friedrich Wilhelm Weinhold: Bauchronik der Stadt Görlitz. Bd. 1 |
8 |
Stuckhaus Lahl, Görlitz |
|